Chorsängerin unter drei Kantoren

Westphal-Blome
Marita Westphal-Blome

Die Jahre unter Friedrich Wanderslebs Leitung waren nicht nur für die Kantorei und für Bremerhaven, sondern auch für mich selbst sehr prägend. Wie viel konnten wir von ihm und seinem umfassenden Wissen lernen! Sicherlich ist auch der gute Geist im Chor zum großen Teil auf seine Persönlichkeit und sein Vorbild des gelebten Glaubens zurück­zuführen. Daher war ich richtiggehend traurig, als wir ihn 1992 in den Ruhe­stand verabschieden mussten. Zum letzten Mal dirigierte er am 22. März die Bach’sche Johannes­passion. Ein paar Tage später organisierte die Kantorei für ihn eine kleine Feier. Nur ungern ließ ich mich überreden, dazu für ihn ein Abschieds­lied zu verfassen, das von seinen liebens­werten kleinen ›Schwächen‹ handeln sollte.

Abschied-Wandersleb, NZ 21.3.1993
Artikel zur Verabschiedung von Friedrich Wandersleb (Auszug), NZ 21.3.1993

Eine lange Ära war zu Ende gegangen. Die Fußstapfen, die Friedrich Wandersleb hinterlassen hatte, waren groß. Wer würde hineinpassen? Mit Spannung verfolgten wir das Ausschreibungs­verfahren für die Nachfolge. Die Bewerber, die in die engere Wahl gekommen waren, stellten sich uns im Rahmen einer Chorprobe vor, denn wir hatten ein Mitspracherecht bei der Neubesetzung der Kantoren­stelle. Ich sehe die Kandidaten noch vor meinem geistigen Auge und entsinne mich, dass einer gleich hervorstach, dem der Ruf als Improvisations­talent an der Orgel schon vorausgeeilt war: Carsten Klomp. Mit großer Mehrheit wurde er gewählt. Ein Generationen­wechsel. Flott und schwungvoll nahm er seine Arbeit bei uns auf und brachte frischen Wind. Dieser wehte alsbald einige ›Altgediente‹ aus unseren Reihen hinaus, sog im Gegenzug aber auch neue Sängerinnen und Sänger an. So blieb auch unter ihm das ausgewogene Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Stimmen erhalten, das immer schon den spezifischen Klang unserer Kantorei ausmachte.

Generationentreffen
Eva Schad, Karsten Klomp und Friedrich Wandersleb beim Jubiläumskonzert der Evangelischen Stadtkantorei Bremerhaven im Dezember 2003

Leider sollte Carsten Klomp uns und der Stadt Bremerhaven schon bald wieder den Rücken kehren, denn neue Aufgaben lockten ihn nach Freiburg. So hieß es nach gut drei Jahren ein weiteres Mal: Kreiskantor und Leiter für die Stadtkantorei gesucht! Wieder setzte das uns nun schon bekannte Procedere ein. Und wieder hatten wir das richtige Gespür für den fähigsten Kandidaten, pardon, die fähigste Kandidatin. Gespannt und erwartungs­froh sahen wir der ersten gemeinsamen Chorprobe entgegen. Wie würde es wohl werden mit einer Frau? Doch die neue Chorleiterin ließ auf sich warten. Erkrankt! Leichte Zweifel wurden schon in unseren Reihen laut. Doch kaum war die Neue da, startete sie auch schon so richtig durch. Es dauerte nicht lange und wir erkannten: Etwas Besseres als Eva Schad hätte uns nicht widerfahren können! Als Energiebündel mit viel Temperament, leicht schwäbelndem Charme, erstaunlichem Elan und Ideen­reichtum mischte sie nicht nur unseren Chor auf, sondern binnen kurzem auch die musikalisch-kulturelle Szene der Stadt Bremerhaven insgesamt. Mittlerweile ist Eva Schad auch schon im achtzehnten Jahr bei uns. Manche aus der Kantorei haben gar keine andere Chor­leitung kennen gelernt. Das fiel mir schon beim 40-jährigen Chor­jubiläum auf, als wir sie vereint mit ihren beiden Amtsvorgängern bei der Aufführung des Bach’schen Weihnachts­oratoriums erleben durften. Bei uns Älteren war die Wiedersehens­freude groß, doch begegneten nicht wenige der Sängerinnen und Sänger den früheren Leitern des Chores zum ersten Mal. Dies zeigt aber auch: Über Nachwuchs­mangel haben wir (nicht zuletzt dank Frau Schads strategischer Kinder- und Jugend­chor­arbeit) nicht zu klagen. Und erfreulicher­weise stellen sich immer wieder – meist im Nachklang eines Konzertes – Musik­begeisterte aus Nah und Fern zum Vorsingen ein.

Ich gratuliere der jetzigen Leiterin der Stadtkantorei und ihren Amts­vorgängern, insbesondere dem Chorgründer Friedrich Wandersleb, von ganzem Herzen zum 50-jährigen Bestehen ›ihres‹ Chores. Möge Eva Schad uns noch lange hier erhalten bleiben und möge sie ihre schier unerschöpflich scheinende Energie, Willens­kraft und mitreißende Freude an der Arbeit nicht verlieren!

Marita Westphal-Blome – Beitrag zur Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Evangelischen Stadtkantorei Bremerhaven