Friedrich Wandersleb und Eva Schad erzählen von einst und heute
Geprobt wird einmal pro Woche, dazu gibt es Stimmproben und vor den Aufführungen ein Probenwochenende – daran hat sich nichts geändert. »Wir sind zur Chorfreizeit immer nach Drangstedt gefahren«, erinnert sich Wandersleb. Andererseits nahm er sich für seine erste Aufführung von Bachs heikler h‑Moll-Messe 1974 mehr als zwei Jahre Probenzeit, Eva Schads Terminkalender ist da enger gesteckt. »Und wenn der Rundfunk einen Kantatengottesdienst übertrug, zahlte er sogar noch dafür«, erzählt Wandersleb. Diesen Vorteil kann Eva Schad, immer auf der Suche nach Sponsoren, heute nicht mehr nutzen.
Manchmal war früher doch alles besser, oder? Wandersleb erinnert sich an seine Anfänge als Kantor: »Als ich 1954 die Stelle übernahm, sagten die Pastoren: ›Wozu brauchen wir einen hauptamtlichen Musiker? Der spielt doch nur sonntags.‹ Da der Diakon einen Sing- und Spielkreis leitete, war es mir auch verboten, einen Jugendchor zu gründen.« Der junge Sohn eines Pastors, der schon mit sieben Jahren im Chor gesungen und nach dem Krieg während einer Erkrankung seines Vaters dessen Kirchenchor geleitet hatte, tat das einzig Mögliche: »Ich gründete einen Kirchenchor.« Schon damals waren Männerstimmen knapp, aber das hielt Wandersleb nicht von erlesenen Programmen ab. Vor allem Heinrich Schütz stand im Mittelpunkt. Bis der Wunsch wach wurde, Bachs Weihnachtsoratorium aufzuführen. Über persönliche Kontakte suchte und fand Wandersleb weitere Tenöre und Bässe, machte eine Testaufführung mit zwei Bach-Kantaten und führte das Oratorium dann im Spätherbst 1963 auf. »Evangelische Stadtkantorei Bremerhaven« stand da erstmals in den Vorankündigungen – der neue Chor war geboren.
Und sorgte gleich für eine zweite Chorgründung: 1964 zog die Große Kirche mit dem (noch stark von Bremer Sängern unterstützen) Bach-Chor und der Matthäuspassion nach. Solche Konkurrenzsituationen hat Wandersleb häufiger erlebt. »Heute gehen wir entspannter miteinander um«, bemerkt Schad. »Die Szene in Bremerhaven ist so klein, da arbeitet man lieber zusammen.«
Die Stadtkantorei wurde allmählich zur Institution. »Zehn Jahre musste ich werben«, blickt der Dirigent zurück, »dann wurde sie ein Selbstläufer – wir hatten immer 80 bis 95 Mitwirkende.« Mit denen konzentrierte sich Wandersleb zunächst vor allem auf Musik von Bach. Johannespassion, Matthäuspassion, die Motetten, jährlich eine Kantate im Rundfunk und auch wieder das Weihnachtsoratorium. 1971 wurde das Repertoire erfolgreich mit Mozarts Requiem erweitert, später folgten Händels ›Messias‹, das Brahms-Requiem und sogar Arthur Honeggers ›König David‹: »Plötzlich blieben 20 Sänger weg und sagten: ›So was Modernes wollen wir nicht.‹ Es kamen auch nur 250 Besucher.«
Da hat es Schad heute leichter: Bei Benjamin Brittens ›War Requiem‹ nahmen ihre Sänger nicht nur den Kampf mit den schweren Noten auf, die Kirche wurde auch rappelvoll. Wandersleb ist voll des Lobes für diese Aufführung, verbindet ihn doch mit Britten selbst ein großer Erfolg.
Für den Cantus firmus der Matthäuspassion hatte er 1976 einen Kinderchor gegründet. Mit dieser ›Kurrende‹ führte er 1983 in der Kirche Brittens Oper ›Noahs Flut‹ auf. »75 Kinder als Tiere für die Arche, der kleine David McAllister als einer von Noahs Söhnen und die Männer der Kantorei – die Kirche war zweimal ausverkauft.« Den gemalten Regenbogen, dessen Farben falsch angeordnet waren, verwendet Eva Schad immer noch gern.
1992 schied Wandersleb mit einer im Gottesdienst aufgeführten Johannespassion aus dem Amt, seinen Nachfolger Carsten Klomp beerbte Eva Schad schon 1995. Sie entdeckt immer mehr Gemeinsamkeiten zu ihrem Vorvorgänger: »Wir leiden beide nicht unter Lampenfieber«, stellt sie fest. »Nur vier Wochen vor der Aufführung wälzt man sich nachts im Bett und denkt: Schaffen wir das?«, sagt Wandersleb. Da nickt Schad zustimmend. Einig sind sich der Ex-Kantor und die amtierende Kantorin auch darin, dass man nicht einer Eventkultur der populären Häppchenprogramme hinterherlaufen, sondern die ganze Bandbreite der Kirchenmusik vermitteln sollte. So wird Wandersleb beim Jubiläum einen Akzent mit einer Renaissance-Motette von Hans Leo Hassler setzen. So viel Tradition muss nach 50 Jahren schon sein.
Sebastian Loskant (Kulturchef der Nordseezeitung)