Zwei Jahre kirchenmusikalische Ausbildung
Zwei Jahre lang trafen wir, die Teilnehmer des ›C-Kurses‹, uns zum Unterricht im Gemeindesaal der Christuskirche. Die Dozenten Eva Schad, Folker Froebe und Volker Nagel-Geißler vermittelten uns Kenntnisse über diverse Themen rund um Kirche und Musik. Im Vordergrund stand vor allem die Chorleitung. Weitere Unterrichtsfächer waren: Kirchenmusikgeschichte, Orgelbau, Tonsatz, Stimmbildung, Orgelliteraturkunde, Partiturspiel, Liturgie und ›Vom-Blatt-Singen‹.
Ein Beweis für die schöne Gemeinschaft, die sich über die Zeit hinweg gebildet hat, ist die Tatsache, dass auch diejenigen Teilnehmer, die sich letztlich nicht für eine Prüfung meldeten, bis zum Schluss durchhielten.
Am Samstag, den 19. Juni 2010, war nun die letzte der Prüfungen. Dabei waren wir Prüflinge gefordert, ein Stück, das vier Tage vorher bekannt gegeben wurde, mit einem Chor einzuüben. Gern fanden sich einige Sänger aus der Stadtkantorei bereit, als ›Testobjekte‹ zur Verfügung zu stehen.
Zwei Jahre, eine lange Zeit – könnte man denken. Doch sie waren so schnell vergangen, dass es sich noch anfühlt wie gestern als Eva Schad uns die ›liegende Acht‹ präsentierte. Das waren nicht etwa acht der Teilnehmer in Ruheposition. Nein, es ist die Grundbewegung, aus der sich viele Dirigierbewegungen ableiten. Das ist doch einfach, denkt man zuerst: Jeder weiß, wie eine Acht aussieht. Weit gefehlt! Dass wir nicht einen Anflug von Schimmer hatten, wie sich eine Acht im Liegen anfühlt, mussten wir ziemlich schnell feststellen. Und gerade dann, wenn wir meinten, jetzt wäre die Acht perfekt, dann wurden wir zur Ordnung gerufen: »Wo ist denn der Außenbogen? Da kann doch kein Haken sein. Das muss ein Bogen sein …« Also von vorne. Man soll nicht denken, welche seltsame Formen so eine liegende Acht in zwei Jahren annehmen kann. Der Kreativität waren (und sind) keine Grenzen gesetzt.
Ja, und der Kontrapunkt … In Wikipedia ist dazu zu lesen, dass »der Begriff Kontrapunkt […] auch die Kunst« bezeichnet, »Gegenstimmen zu gegebenen Tonfolgen zu erfinden, die sowohl einen vertikal sinnvollen Zusammenklang ergeben als auch eine horizontal-lineare (melodisch) sinnvolle Eigenständigkeit aufweisen.« Alles klar? Waren wir bei der liegenden Acht noch extrem kreativ, ließ uns unsere Kreativität ausgerechnet beim Kontrapunkt oft völlig im Stich. Und dann auch noch »sinnvoller Zusammenklang« und »sinnvolle Eigenständigkeit«. Ha! Unsere ›Sinnresistenz‹ kannte keine Grenzen. Die nachhaltige Erfahrung, welche Verwüstungen der Rotstift des Kontrapunkt-Dozenten Folker Froebe in unserer Komposition anrichten konnte, war nur schwer zu bewältigen.
Doch manchmal kam sogar etwas scheinbar Sinnvolles bei unserer Notenschreiberei heraus. Das machte uns unendlich stolz. Bis sich dann der Meister ans Piano setzte und uns unsere Noten vorspielte. Der Rest ist Geschichte und im häuslichen Papierkorb wiederzufinden.
Und doch – am Ende fügten sich sowohl der nicht enden wollende Informationsfluss der Dozenten und die Speicherfähigkeit unserer Gehirne zu etwas sinnvollem Ganzen. Seit dem 19. Juni sind fünf neu ausgebildete Kirchenmusiker auf die Gemeinden losgelassen. Man wird von ihnen hören. So oder so …
Wolfgang Adomeit