»… Gott sprach: Es werde Licht! Und – es – ward – Licht!!!« Strahlendes Fortissimo-C-Dur aus allen Kehlen und Instrumenten. Jetzt noch nicht. Aber dann. Wenn am Sonntag, 29. September, die 130 Musiker und Musikerinnen vor dem Altar der Christuskirche Bremerhaven Joseph Haydns großes Oratorium ›Die Schöpfung‹ intonieren. Jetzt kommt das 1796 komponierte Meisterwerk – Haydn erzählte, er habe »bis zur Erschöpfung daran gearbeitet und Gott täglich um Kraft dazu gebeten!« – noch vom Band.
Keine Instrumente, keine Kehlen im derzeit eingerüsteten, sanierungsbedürftigen Gotteshaus. Aber: Die Tänzerinnen sind da. Neun Elevinnen der Geestemünder Ballettschule ›Dance Art‹ drehen, trippeln, laufen, neigen, biegen sich an diesem Abend zwischen den Pfeilern des neugotischen Gotteshauses: Es ist ihre allererste Probe am Original-Ort, »wir haben alles bisher nur in der Schule geprobt«, sagt im Vorbeihuschen Irina Manole und ruft Zoé in deren Solo hinein: »Weniger Chainées, uuund Arme!« Chainées – das sind die ineinander geketteten schnellen Drehungen auf ›halber Spitze‹. Die sind schon auf normalem Boden schwierig. Auf einem nur einen Meter schmalen Holzsteg sind sie »eine Herausforderung«, strahlt die Frau, die es den jungen Tänzerinnen – alle 17, 18 Jahre jung und nahe an der Bühnenreife – ›eingebrockt‹ hat.
Kreiskantorin Eva Schad plant das Oratorium seit einem Jahr und hatte einen Traum: »Ich hab es vor 14 Jahren zuletzt gemacht und möchte etwas Ungewöhnliches ausprobieren – mit getanzten Rezitativen und Arien. Und da fiel mir Irinas und Marius’ Schule ein.«
Dance Art-Schülerinnen haben auch am Stadttheater schon die Familienkonzerte ›vertanzt‹. Doch Haydns ›Schöpfung‹ in der Kirche ist etwas Außergewöhnliches. »Unmittelbar zwischen den Zuhörern im Mittelgang, und auf dem Steg fast mitten im Orchester, so hautnah an dieser wundervollen Musik – es ist etwa Einmaliges und sehr aufregend«, sagen sie durcheinander – Rebecca, Mia, Svea, Miriam und Lilli formieren sich dabei für eine Gruppen-Szene mit weit ausschwingenden Armen - wie Sterne. Blüten.
»Man kann diese Musik, die großen Chöre, die großen Arien nicht noch toppen durch Bewegung, nicht jedes der Tiere vertanzen«, räumt die Kantorin ein, »aber ich habe mir eine Performance vorgestellt, Ausdruckstanz mit symbolischen Gesten für die Rezitative, die jedem Schöpfungstag voranstehen, und für die Geschöpfe.« Und für Adam und Eva, die mit Bariton und Sopran am Ende den ›7. Tag‹ repräsentieren.
Drei Teile gliedern das monumentale Werk, das im harmonischen Stil der ›Wiener Klassiker‹ oft an Mozart – etwas jünger als Haydn – erinnert und großes Klangvolumen fordert: Zu den drei Erzengeln Uriel, Gabriel und Raphael (gesungen von Tenor Ulrich Cordes, Bassist Thomas Mohr und Sopranistin Ekaterina Korotkova hat Eva Schad ihr Kammerorchester mit Profi-Gastmusikern verstärkt, im Chor der Evangelischen Stadtkantorei wirkt auch der Kinder- und Jugendchor mit.
Irina Manole scheucht die ›Mädchen‹ in ihren pastellfarbenen ›Tütüs‹ durch das lange Kirchenschiff, zur großen Schluss-Phrase – »schneller, ihr müsst beim Schlussakkord oben stehen!« Außer Puste, lachend, wiederholen die Tänzerinnen alles nochmal und nochmal. »Wo bleiben wir eigentlich, wenn wir nicht dran sind, bei den Chören?«, fragt Miriam. Irina Manole und Eva Schad gucken sich verblüfft an: »Gute Frage. Kein Platz mehr. Das müssen wir jetzt dringend ausprobieren.«
Vorankündigung NZ vom 21.09.2024
Susanne Schwan (Nordseezeitung)
»Und eine neue Welt entspringt«: Aus 80 Kehlen strahlt es, musikalischer Appell an die Bewahrung der Erde. Eindringlich, mit dramatischer Gestaltungskraft, schallte Joseph Haydns ›Schöpfung‹ durch Bremerhavens Christuskirche. Nicht nur musikalisch!
Anmutiger Tanz der Wale, Würmer und aller liebevoller Lebewesen auf der Welt – das gab es in Bremerhavens Kirchen so noch nie: Joseph Haydns großes Oratorium ›Die Schöpfung‹ wurde am Sonntag und Montag nicht nur mit stehenden Ovationen in der rappelvollen Bremerhavener Christuskirche bejubelt, weil der Chor der Stadtkantorei und das Bremerhavener Kammerorchester samt drei ausgezeichneten Solisten – ein Glücksfall: Der international renommierte Bassist Thomas Mohr in erzählerisch-expressiver Wucht, neben dem stimmlich fein zeichnenden Tenor Ulrich Cordes und dem lyrischen, nicht immer textverständlichen Sopran Ekaterina Korotkovas – musikalisch differenziert, klangmalerisch ausleuchtend, zupackend und mit Schwung beglückten. Sondern die Idee von Kreiskantorin Eva Schad, die jungen, zum Teil schon bühnenreifen Elevinnen der Ballettschule Dance Art einzubeziehen. Sensibel und kraftvoll begleiteten die neun Mädchen jeden Schöpfungstag mit klassisch-modernem Ausdruckstanz. Hinreißend und auf jede Tänzerin individuell choreografiert von Irina und Marius Manole. Neu auch, am Montagmorgen das ganze Werk vor gut 300 Kindern aus fünf Schulen noch einmal zu wiederholen.
Susanne Schwan (Nordseezeitung)
Sonntag, den 29. September, 18.00 Uhr MUSIK UND TANZ Sopran: Ekaterina Korotkova Evangelische Stadtkantorei Bremerhaven Choreographie: Irina und Marius Manole Gefördert von der Klosterkammer Hannover, WiN Bremerhaven und dem Kulturamt Bremerhaven |