Wenn ich mit Leuten meines Alters über Hobbys spreche und erwähne, dass ich in der Evangelischen Stadtkantorei singe, ernte ich zumeist fragende oder ungläubige Blicke. Fragend, weil manch einer sich unter dem Begriff ›Kantorei‹ nichts vorstellen kann. Ungläubig, weil es zugegebenermaßen nicht zu den beliebtesten Freitagabend-Beschäftigungen 18-Jähriger gehört, mit rund 100 anderen Sängerinnen und Sängern Werke von Bach, Händel und Co. einzustudieren. Die Frage »Wieso?!« ist meinen Altersgenossen deutlich von der Stirn abzulesen.
Wieso? Ja, wenn ich selbst darauf eine Antwort hätte! Warum findet man in meinem CD-Regal eher Mitschnitte von Rutter-Konzerten als Alben von Robbie Williams? Einige meiner Freunde bezeichnen mich sogar als ›Klassik-geschädigt‹, und meine einzige sinnvolle Erklärung dafür ist, dass ich mit Kirchenmusik, mit Messen, Oratorien und Passionen groß geworden bin.
Als ich das erste Mal bei einem Kantoreikonzert mitsang, war ich 9 Jahre alt: Johann Sebastian Bachs ›Weihnachtsoratorium‹, aufgeführt im Jahr 2003 durch die Kantorei, die mich Knirps schon durch die unfassbare Anzahl der Sänger beeindruckte, ein für meine Begriffe gigantisches Orchester – ich war bis dato nur Klavierbegleitung gewöhnt – und etwa 20 von Evas »Kinderchen«. Und ich mittendrin, mit kilometerlangen Zöpfen und im schwarzen Chorgewand mit weißem Kragen. Die meisten von uns fanden die Roben doof: So warm, so eng am Hals, so muffig – und verheddern tut man sich auch ständig! Heute kann ich sagen: Bequemer als die langen Umhänge, die wir 2012 bei der ›Carmina Burana‹ im Stadttheater tragen mussten, waren die Kinderchorgewänder allemal! Und ein bisschen trauere ich den ›Fledermauskostümen‹ inzwischen sogar nach. Gewänder hin oder her: Mein erstes Kantoreikonzert war ein Abenteuer für mich, auch wenn ich nur die Choräle mitsang und deshalb die meiste Zeit still zu sein hatte. Das war aber auch nicht so schlimm, denn die Querflöten vor mir waren wirklich ungemein spannend zu beobachten! Die Dirigenten vorne am Pult waren nicht so wichtig – wozu wedelten die eigentlich die ganze Zeit mit ihrem Stab? Und es waren wirklich Dirigenten, nicht nur eine Dirigentin! Denn, man höre und staune, obwohl ich das Küken der Kantorei bin, habe ich bereits das 40-jährige Chorjubiläum, bei dem Friedrich Wandersleb, Carsten Klomp und Eva Schad dirigierten, als aktive Sängerin miterlebt!